Aus dem Kreislauf des Missbauchs treten

Foto: Thomas Pedroli
Foto: Thomas Pedroli
Nicht wenige der Frauen, die zur Massage zu mir kommen,

haben sexuellen Missbrauch erlebt,

viele durch ihren Vater,

aber manchmal ist es auch der Großvater, der ältere Bruder oder sonst jemand.

Geschätzt wird, dass eine von vier bis fünf Frauen irgendeine Form von Missbrauch erlebt haben.

 

Nicht immer ist der Missbrauch offensichtlich.

Er kann auch in Form einer 'sexuellen Aufklärung' getarnt sein,

in der der Vater mit ihr Pornofilme angeschaut und sie dabei berührt hat.

Oder die Tochter hört von ihm:

"Wenn nur ein paar Zentimeter von einem Penis in dir drin ist, bist du schwanger!"

und spürt seine eigene Lust auf sie projiziert.

 

Oftmals erinnert sich die Frau an keine konkrete Situation,

doch auf einmal taucht der betreffende Mensch in der Massage auf,

während ich sie an oder in der Yoni massiere.

Emotionen wie Ohnmacht, Angst, Wut, auch Hass steigen auf.

Gefühle, die zu dem Zeitpunkt des Geschehens nicht vollständig gefühlt,

geschweige denn ausgedrückt werden konnten

und so im Körper gelagert waren,

zeigen sich,

da die Frau nun in der Lage ist,

in einer geborgenen Umgebung diese zu fühlen und auszudrücken.

 

"Geh weg!"

"Ich will das nicht!"

"Ich hasse dich!"

Sie weinen, schluchzen, schreien,

ballen ihre Hände zu Fäusten und schlagen um sich.

So lange, bis sie all die Gefühle gefühlt und ausgedrückt haben

und die Stelle, in der die Gefühle eingefroren waren,

sich entspannt, weicher wird und schmerzfrei.

 

Häufig lebten die Eltern bzw. Großeltern der Frau keine befriedigende Sexualität.

Auch bestand eine allgemeine Verklemmtheit oder Tabuisierung

durch religiöse Moralvorstellungen und über Generationen vermittelte Glaubenssätze

um das Thema herum.

 

Diese können dazu führen, dass solche Übergriffe aus einem unbewussten Teil des Täters heraus geschehen.

So kommt es vor, dass er, wenn die Tochter ihren Mut aufbringt und ihn darauf anspricht, die Tat leugnet

oder als belanglos herunter spielt.

Es kann wohl tatsächlich sein, dass er diesen Teil in sich selbst so wenig kennt

und sich so nicht mit ihm identifiziert,

dass auch seine Frau, also die Mutter der Betroffenen, wenn es der Vater ist,

nicht daran glauben kann

und ihn in Schutz nimmt,

statt zu ihrer Tochter zu stehen und sie zu unterstützen.

 

Dabei ist es so wichtig für das Mädchen,

Menschen zu haben, die ihr zuhören und mit ihr sind,

damit sie ihre Angst, Trauer, Wut und all die Gefühle um das Geschehen herum teilen kann.

Denn neben dem Ereignis, das einschneidend war,

ist es noch zusätzlich die Einsamkeit damit,

wodurch sie leiden,

und was dazu führt, dass all die Gefühle mit der Erinnerung daran 'eingefroren' werden

und in ihrem Körper lagern.

 

Das kann bedeuten,

dass sie ihr Herz und ihren Körper zu einem gewissen Grad verschließt.

So kann sie zwar in einer Beziehung sein,

ohne sich wirklich öffnen zu können,

seelisch und/oder körperlich.

Oder aber sie findet keinen Partner,

mit dem sie zusammen bleiben kann.

Die eingefrorenen Stellen stehen ihr im Wege,

sich voll und ganz zu fühlen.

Sie kann Sex haben und auch Kinder gebären,

ohne ganz mit ihrem Körper, mit ihrer Yoni verbunden zu sein.

Somit ist sie in der sexuellen Begegnung nicht ganz mit ihrem Partner verbunden,

und während der Entbindung nicht ganz mit sich und ihrem Kind.

 

Hierin liegt eine Ursache,

warum viele Frauen nicht ganz in ihrer Kraft und Schönheit stehen,

und warum viele Paare um eine glückliche, authentische Sexualität ringen.

 

Wenn das Paar keine glückliche Sexualität lebt,

kann es zu unbewussten und bewussten Konflikten zwischen den Beiden

und/oder in der Person selbst führen.

Und wenn sie nicht darüber sprechen

und das Bewusstsein dafür fehlt,

entstehen unbewusste Teile in ihnen,

die bei Gelegenheit die Lust und die Frust eigenständig ausagieren,

zum Beispiel in Form eines Übergriffs in der Beziehung selbst,

und/oder außerhalb als Affäre oder als Missbrauch gegenüber ahnungslosen Menschen.

 

Daher ist es so wichtig,

das Thema anzuschauen

und darüber zu sprechen.

Denn im Licht des Bewusstseins können wir wieder sehen,

dass alle Regungen wie Angst, Scham und Schuldgefühle

sowie Lust, Begierde und Frustration einfach menschlich sind,

die den Menschen aber belasten,

wenn er sie unterdrückt.

 

Viel Energie kann dafür aufgewendet werden,

um diese nicht an die Oberfläche kommen zu lassen,

doch loswerden kannst du sie nur,

wenn du dich ihnen stellst und sie fühlst.

Dann bist du aus dem alten Kreislauf getreten

und gehst deinen selbt gewählten Weg im Frausein und in der Sexualität.

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Stefanie Soraya (Mittwoch, 06 September 2017 17:09)

    Danke Mari, für diesen wichtigen Beitrag.
    Es ist so befreiend, wenn die erstarrten oder schmerzhaften Bereiche in der
    Yoni wieder fühlbar werden und darüber was Geschehen ist, endlich gesprochen wird.
    Weiterhin viel Erfolg, Freude und Kraft für dein Wirken und Weben.

  • #2

    Mari (Mittwoch, 06 September 2017 17:15)

    Ich danke dir, liebe Stefanie!
    Es ist so wunderbar, dich als Gefährtin auf diesem Weg zu wissen!